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Entwicklungsphasen beim Welpen - nach Dr. med. vet. Barbara Schöning

Quelle: Dr. med. vet. Barbara Schöning  "Die >>heißen<< Phasen der Welpenentwicklung"

 

Vielen Dank an Frau Dr. med. vet. Barbara Schöning für die persönliche und äußerst freundliche Genehmigung zur Textveröffentlichung. Wir bitten Sie diesen Text ebenso nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Verfasserin zu kopieren!

 

Zur verantwortungsvollen Welpenaufzucht gehört weit

mehr, als für Wurfkistenhygiene und bedarfsgerechte

Ernährung zu sorgen. Bei der in Phasen verlaufenden

Entwicklung eines jungen Hundes gehen Genetik und

Umweltreize Hand in Hand - und für letztere trägt der

Züchter besondere Verantwortung.

Hundewelpen durchlaufen verschiedene Entwicklungsphasen. Spätestens

seit der klassischen Studie von Scott und Fuller (»Genetics and the Social

Behavior of the Dog« von 1965) ist diese Aussage für Züchter,

Hundetrainer und auch für mehr und mehr Besitzer Allgemeinwissen

geworden. Man weiß um die Wichtigkeit der Sozialisationsphase und trägt

dem eventuell sogar noch Rechnung, indem man den Welpen z. B. den

Besuch eines Einkaufszentrums zumutet. Häufig bleibt es aber bei einer

solchen Aktion. Hier verschenkt ein Züchter unter Umständen viele

Möglichkeiten, einen alltagstauglichen und für das Leben in einer

menschlichen Gesellschaft mit all ihren Stressoren fitten und

anpassungsfähigen Hund zu erziehen.

 

Die Verantwortung des Züchters

Die Probleme liegen offen - wir erfahren es täglich aus den Medien. Hunde

werden abgegeben, ausgesetzt und/oder enthanasiert, weil sie nicht die

Ansprüche erfüllen, die die Menschen an sie haben: wenig bis gar nicht

bellen, wenig bis gar nicht aggressiv sein, wenig bis gar nichts kaputt

machen, immer gehorchen etc. Als Züchter legt man sehr häufig den

Grundstein, ob es später Probleme geben wird oder nicht. Natürlich kann

man den Züchter nicht für alles Verhalten verantwortlich machen, welches

ein Hund später einmal zeigen wird. Aber gerade die ersten acht

Lebenswochen sind enorm wichtig im Hinblick auf die Ausbildung des

grundsätzlichen Verhaltensrepertoires - dies haben seit Scott und Fuller

unzählige weitere Studien gezeigt (z. B. die zahlreichen Forschungsarbeiten

der Kieler Tierärztin und Ethologin Dr. Feddersen-Petersen).

In den ersten acht Wochen ihres Leben sind die allermeisten Welpen nun

einmal bei ihrem Züchter! Aus diesem Grund möchte ich jetzt ausführlich

auf diese verschiedenen Entwicklungsphasen eingehen, die Welpen von der

Sekunde der Geburt bis ca. zur 12. Lebenswoche durchlaufen. Neben dem

reinen Beschreiben, was dort physisch und psychisch abläuft, soll auch auf

die Konsequenzen für Züchter, also die praktischen Aspekte für die

Welpenaufzucht, hingewiesen werden.

 

 

Die neonatale Phase:

Vom Schock der Geburt bis zum 14. Lebenstag

Mit der Befruchtung der Eizelle wird der genetische Rahmen festgelegt,

innerhalb dessen sich der entstehende Organismus entwickeln kann. Dies

gilt nicht nur für die äußere Erscheinung, sondern auch für das Verhalten.

Seitdem es Verhaltensforschung gibt, gibt es auch einen ganz bestimmten

Streitpunkt: die Diskussion, welche Verhaltenskomponenten angeboren

sind und welche erworben (= erlernt) wurden. Im angelsächsischen

Sprachraum existiert dafür das nette Wortspiel »Nature vs. Nurture«. Von

Prof. Odberg, Verhaltensbiologe und Nutztierforscher aus Belgien, stammt

das Zitat, daß Verhalten zu 100% angeboren und zu 100% erlernt ist. Hier

trifft er sicher den Punkt: Verhalten kann sich einerseits nur auf der

Grundlage der genetisch fixierten Hardware entwickeln (ein Hund hat keine

Flügel und kann folglich nie fliegen lernen). Auf der anderen Seite findet

von der Sekunde der Geburt an eine Wechselwirkung zwischen Welpe und

Umwelt (Umgebung) statt. Der Welpe zeigt ganz bestimmte

Verhaltensweisen als Reaktion auf die Umweltreize, und er lernt von Anfang

an, welche seiner Reaktionen positive Konsequenzen haben und welche

nicht. So findet die Entwicklung eines bestimmten Verhaltensrepertoires auf

der Grundlage einer genetischen Prädisposition statt.

Anfangs sind die Verhaltensweisen, die ein Welpe zeigt, noch mehr oder

weniger streng genetisch fixiert. Alle neugeborenen Welpen machen z. B.

pendelnde Suchbewegungen mit dem Kopf, um eine Zitze zu finden. Alle

Welpen besitzen einen typischen quäkenden »Hilfeschrei«, den sie

ausstoßen, wenn sie isoliert, also ohne Körperkontakt mit Wurfgeschwistern

oder Mutterhündin sind. Auf diesen Schrei zeigt die Mutter auch ein

typisches, genetisch fixiertes Verhalten: Sie sucht die Geräuschquelle und

trägt sie ins Nest zurück. Dies macht die Hündin auch mit einem

Kassettenrecorder, der den Schrei abspielt! Auch für die Hündin ist dieses

Verhalten angeboren - sie muß es nicht lernen. Aber sie zeigt diese

Reaktion auf den Schrei nur in den ersten 12 Tagen nach dem Werfen. Und

auch der Welpe verliert mit dem Älterwerden die Fähigkeit, genau diesen

speziellen Schrei auszustoßen.

Hundewelpen sind in den ersten beiden Lebenswochen eigentlich recht

nutzlose Gesellen, wenn man nur Äußerlichkeiten in Betracht zieht. Außer

Schlafen, Saugen, Wachsen und Ausscheiden findet scheinbar nichts weiter

statt - und Ausscheiden tun die Welpen zudem auch nur auf die

Leckstimulation der Mutter hin. Diese massiert mit ihrer Zunge den Bauch,

die Seiten und den Rücken des Welpen und stimuliert so die Motorik von

Blasen- und Darmmuskulatur und die Aktion der jeweiligen Schließmuskel.

Bei mutterloser Aufzucht muß der Züchter diese Stimulation mit einem

warmen, feuchten Waschlappen imitieren. Dies muß regelmäßig nach dem

Füttern mit der Flasche erfolgen, und der Mensch sollte, analog der Mutter,

Bauch, Seiten und Rücken des Welpen' sanft reiben, bis Kot und Urin

abgegangen sind.

Hundewelpen werden blind und taub geboren. Messungen ihrer

Gehirnströme (im EEG) zeigen Dauerschlafwellen an. Ihre motorischen

Fähigkeiten beschränken sich zunächst auf das erwähnte Kopfpendeln, das

Saugen und die Fähigkeit, sich robbend/kriechend langsam und kreisförmig

fortzubewegen. Aber man sollte sich nicht dazu hinreißen lassen, diese

neonatale Phase als ein rein vegetatives Stadium abzutun. Hundewelpen

können von Anfang an warm und kalt unterscheiden, zeigen

Schmerzreaktionen und trotz verschlossener Ohrkanäle eine typische

»Schreckreaktion« auf laute Geräusche. Es finden bereits in dieser Phase

wesentliche Wachstums und Differenzierungsprozesse von Körper, Gehirn

und Nervensystem statt.

 

Verschaltungen im Nervensystem

Für das weitere Verständnis auch im Hinblick auf die Verhaltensentwicklung

ist ein kleiner Exkurs in die Neurologie (die Kunde vom Nervengewebe)

nötig. Unser ganzes Verhalten, unsere Motorik und unsere Emotionen,

werden vom Nervensystem koordiniert. Das Zentralnervensystem (ZNS)

setzt sich zusammen aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Dieses sind

quasi die Steuerorgane. Daran schließt sich das periphere Nervensystem

an. Über dessen »Leitungen«, Nervenzellen mit allen Verzweigungen,

werden Informationen aus dem ZNS an den restlichen Körper

weitergegeben (Kommando »Kopf heben« z. B.), aber auch umgekehrt

(»dieses Futter schmeckt gut«) werden Rückmeldungen über die Außenwelt

an die Schaltzentrale geliefert. Bei den Nervenzellen unterscheidet man

solche, die schnell leiten (ca. 120 m/sec.), und solche, die langsam leiten

(ca. 1 m/sec). Die schnellen sind diejenigen, über die unter anderem die

Information von außen zum Gehirn gebracht wird und über die dann

Kommandos an die Muskeln zur Aktion gehen. Langsame und schnelle

Nervenzellen unterscheiden sich in ihrer Anatomie: Die langsamen sind

»nackt« während die schnellen von einer Hülle, der sogenannten

Myelinscheide, umgeben sind. Diese Hülle ist aber nicht von Anfang an

vorhanden. Hundewelpen - und menschlichen Babys geht es nicht anders -

werden mit vollständig nackten Nervenzellen geboren. Erst im Laufe der

Entwicklung in den ersten zwei Lebenswochen werden die Nervenzellen im

Bereich des abführenden Fortsatzes (= Axon, hierüber findet die

Weiterleitung der Information statt) mit der Myelinscheide umhüllt. Diese

Umhüllung beginnt nicht einfach irgendwo oder ist schlagartig überall am

Körper abgeschlossen. Sie folgt einer ganz strengen Regelmäßigkeit:

Begonnen wird dort, wo die Nerven das ZNS verlassen -je näher am Kopf,

desto eher. Aus diesem Grund werden Welpen auch nie mit dem Hinterteil

zuerst aktiv! Immer sind die Axone der Nervenzellen, die die Motorik der

Vorderbeine steuern, eher umhüllt und damit leistungsfähiger als die der

Hinterbeine. Wir können dieses »Wachsen« der Myelinscheide vom

Vorderkörper über den Rücken hinunter zu den Hinterbeinen tatsächlich an

den immer besser werdenden motorischen Fähigkeiten der Welpen

verfolgen: Zunächst wird die Kontrolle über Kopf und Hals besser; dann

fangen sie an, sich mit dem Vorderkörper hochzustemmen und die

Vorderbeine gezielt zu stellen; schließlich beginnen sie, die Hinterbeine

unter den Bauch zu ziehen, um dann unter großen Mühen den Po in die Luft

zu stemmen. Hier muß das Krankheitsbild »Flat-Puppy-Syndrom«

Erwähnung finden. Welpen mit FlatPuppy sind nicht in der Lage, sich mit

den Gliedmaßen aufzurichten. Das Vollbild dieses Problems zeigt sich

zwischen dem 14. und 21. Lebenstag. Erste Hinweise zeigen sich aber

schon mit 4 bis 5 Tagen. Mittlerweile weiß man, daß sich bei diesen Welpen

die Myelinscheide von Anfang an nicht richtig ausbildet. Warum dies so ist

(ererbt, Infektion der Mutter während der Trächtigkeit, etc.?), weiß man

nicht. Es wird diskutiert, daß Vitamingaben an die betroffenen Welpen

hilfreich sein können. Viel wichtiger scheint aber ein regelmäßiges Jurnen«

des Züchters mit diesen Welpen zu sein. Auch eine passive Bewegung der

Gliedmaßen führt über Dehnungsreize der Muskeln nämlich zu einer

aktiveren Ausbildung der Myelinscheide.

 

Entwicklungshelfer milder Streß

Wer also als Züchter seinen Welpen etwas Gutes tun will und dafür sorgt,

daß sie sich z. B. wenig bewegen müssen, weil er sie jedesmal an die Zitze

legt, verlangsamt nicht nur das Herausbilden der Myelinscheide. Er bewirkt

unter Umständen sogar, daß sie sich fehlerhaft ausbildet - mit negativen

Auswirkungen auf die Motorik dieses Welpen für ein ganzes späteres

Hundeleben. Milder Streß ist nötig, damit sich der Organismus korrekt

entwickelt. Diesen Satz werden Sie im folgenden noch häufiger lesen. Er ist

so wichtig, daß man ihn eigentlich gar nicht oft genug wiederholen kann!

Wenn ich im Paradies aufwachse, kann ich später auch nur im Paradies

überleben. Welcher unserer Hunde lebt aber schon im Paradies?

Milder Streß in diesem frühen Lebensabschnitt fördert die Entwicklung des

Immunsystems und legt den Grundstein für die Befähigung des

Organismus, mit Streß und Belastungen umzugehen. Wenn ein Welpe

Hunger hat oder friert, muß er aktiv werden, um diese Mängel

auszugleichen. Er muß sich anstrengen, um seine Bedürfnisse zu

befriedigen. Am Ende steht dann der Erfolg (voller Magen, Wärme), und der

Welpe hat eine Grundinformation über das Prinzip späterer psychischer und

physischer Vorgänge und über das Lernen an sich erhalten. Dies ist der

Regelkreis »Motivation -Appetenz Endhandlung - Erlöschen der Motivation«.

Am Beispiel Saugen wären es die folgenden Einzelkomponenten: Hunger

(Motivation) - Suchen und Aufsuchen der Zitze (Appetenz) - Saugen

(Endhandlung) - Sättigung (Erlöschen der Motivation).

Für eine normale Entwicklung des Welpen ist es unabdingbar, daß er diese

einzelnen Komponenten durchläuft. Wenn er z. B. bei der Flaschenaufzucht

keinerlei Anstrengung beim Saugen unternehmen muß, weil das Loch im

Nuckel groß genug ist und die Milch von allein herausläuft, wird es nie zu

einem vollständigen und korrekten Erlöschen der Motivation kommen. Die

Endhandlung kann nicht artgemäß vollzogen werden. Das Verhalten

(Saugen) wird unter Umständen auf andere und eventuell sogar auf nicht

nahrungsbezogene Bereiche/Funktionskreise umgelenkt und bleibt dann ein

Hundeleben lang erhalten, statt mit dem Absetzen zu verschwinden, wie es

eigentlich sein sollte.

Ähnliches gilt für die Regelung der Körpertemperatur. Wer seinen Welpen

eine optimale und schwankungslose Umgebungstemperatur bietet,

reduziert ihre spätere Fähigkeit, selber Thermoregulation betreiben zu

können. Rotlichtlampen über der Wurfkiste sollten daher obsolet sein -

einmal abgesehen von der zusätzlichen Gefahr von Verbrennungen bei den

Welpen.

 

 

Die Übergangsphase

vom 14. bis zum 21. Lebenstag

Zu Beginn der dritten Lebenswoche öffnen sich beim Welpen die Augen und

die Ohrkanäle. Im Großen und Ganzen kann man diesen Abschnitt als eine

Kosolidierungsphase bezeichnen, in der der Welpe mehr und mehr

Möglichkeiten erhält, mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten. Die Ohrkanäle

beginnen sich eigentlich schon gegen Ende der neonatalen Phase zu öffnen,

und bei einigen Rassen bzw. Individuen tun dies auch die Augen. Bis der

Welpe visuelle und auditive Reize aus seiner Umgebung aber gut

verarbeiten kann, braucht es bis zum Ende der dritten Lebenswoche. Erst

dann erhalten diese Umweitreize eine Bedeutung für den Welpen.

Hinsichtlich seiner motorischen Fähigkeiten bekommt der Welpe mehr und

mehr Übung, und gegen Ende der Übergangsphase kommt es zu ersten

kontrollierten Bewegungsfolgen sowie zu selbständigem und lokalisiertem

Harnen und Koten. Die Aktivitätszyklen verändern sich. Die Schlafperioden

werden kürzer, und es kommt zu Interaktion der Welpen untereinander, die

über das »Kontaktfliegen« und die »Knäuelbildung« hinausgehen. Auch

zwischen Mutter und Welpen verändert sich die Qualität der Interaktionen.

Mit dem selbständigen und lokalisierten Harnen und Koten beginnt ein

wichtiger Vorgang im Hinblick auf die spätere Stubenreinheit: die Prägung

auf den Untergrund beim Ausscheiden - d. h. welchen Boden der Welpe und

Hund später am liebsten unter seinen Pfoten spürt, während er Harn oder

Kot absetzt. Diese Vorliebe bleibt ein Leben lang bestehen. Wohl dem

Besitzer, der seinen Welpen von einem Züchter kauft, der den Welpen

möglichst frühzeitig die verschiedensten Untergründe zum Ausscheiden

anbietet. In der dritten Woche darf es ruhig noch so etwas wie Zeitung,

Kacheln, Teppich und verschiedene Stoffe (Frottee!) sein ab der vierten

spätestens sollte es sich dann aber hauptsächlich um Erde, Laub, Gras oder

Stroh handeln. Im Grunde werden die jungen Hunde dann ganz von allein

stubenrein. Man kann sogar ketzerisch sagen: Trotz aller Maßnahmen, die

der Mensch unternimmt, werden Hunde stubenrein. Eigentlich genügt es

nämlich völlig, den Untergrund anzubieten (zur Not wird der Welpe bis

dahin schnell getragen) und den Welpen immer zu loben, wenn er sich dort

löst. Kleine Malheure in der Wohnung werden übersehen und dezent

aufgewischt. Natürlich »muß« ein Welpe öfter als ein erwachsener Hund...

Dieser Tatsache muß Rechnung getragen werden.

 

 

Die Sozialisationsphase

ab der 4. Lebenswoche

Zu Beginn der vierten Lebenswoche hat man zum ersten Mal den Eindruck,

einen kleinen Hund vor sich zu haben. Die motorischen Fähigkeiten

verbessern sich auffällig, und die sozialen Interaktionen mit der Mutter und

zwischen den Wurfgeschwistern nehmen schlagartig zu. Das

Neugierverhalten ist groß, und die Welpen reagieren massiv auf

Umweltreize. Jetzt finden die wesentlichen Wachstums- und

Differenzierungsprozesse im Gehirn statt.

Jedes Individuum kommt mit einer bestimmten festen Anzahl von

Neuronen (= Nervenzellen) im Gehirn auf die Welt. Früher dachte man, daß

diese Neuronen sich nicht mehr teilen können -mit der Konsequenz, daß es

mit zunehmendem Alter mit der Anzahl der Neuronen im Gehirn eigentlich

nur bergab gehen kann. Heute weiß man, daß sich Neuronen im Gehirn

unter bestimmten Umständen doch teilen können; daß sich Gehirngewebe

also regenerieren kann. Was aber in der Sozialisationsphase bei unseren

Welpen abläuft, ist kein Regenerieren des Gewebes, sondern Wachstum in

dem Sinne, daß sich die Zellen untereinander vernetzen. Wenn der

Organismus zur Welt kommt, ist jede einzelne Zelle, jedes Neuron,

vielleicht mit 10 anderen verbunden. Diese Verbindungsstellen der

Neuronen untereinander heißen Synapsen. Später, wenn Wachstum und

Differenzierung abgeschlossen sind, kann eine einzelne Zelle über mehr als

10000 Synapsen verfügen. Je mehr Neuronen untereinander vernetzt sind,

desto leistungsfähiger ist das Gehirn und desto leistungsfähiger ist der

Organismus. Der Hund kann besser lernen, er kommt mit Unweitreizen

besser zurecht und ist variabler in seinem Verhalten. Er ist besser geeignet,

sich auf wechselnde Lebensbedingungen und Streß jeder Art einzustellen.

Je mehr Umweltreize der Welpe in der Sozialisationsphase kennenlernt und

verarbeitet, desto mehr Synapsen werden ausgebildet. Auch hier gilt, daß

milder Streß, also ein Fordern des Organismus, vorteilhaft ist.

 

Bedeutung von Neurotransmittern

Differenzierung des ZNS bedeutet, daß im Gehirn mehr und mehr Bereiche

festgelegt werden, die für die verschiedensten Aufgaben zuständig sind.

Dazu gehört auch die sogenannte »Eichung der Neurotransmittersysteme«

- Neurotransmitter sind die chemischen Verbindungen, die an den

Synapsen die Weiterleitung der Information von einem Neuron zum

nächsten übernehmen. Innerhalb eines Neurons verläuft die Weiterleitung

elektrisch; vergleichbar mit dem Fluß von elektrischem Strom in einem

Kabel. Dort, wo sich zwei Neurone treffen, wird dieser Stromfluß

unterbrochen, denn zwischen ihnen ist eine kleine Lücke, quasi wie eine Art

Isolation. Hier kommen die Neurotransmitter ins Spiel, Botenstoffe, die nun

durch die Lücke von einem Neuron zum nächsten »schwimmen«.

Man kennt über 100 solcher Botenstoffe. Wie sie funktionieren und bei

welchen Verhaltensweisen und/oder Emotionen weiche Neurotransmitter

wichtig sind - da gibt es allerdings noch viele Fragezeichen. Man weiß z. B.,

daß der Neurotransmitter »Dopamin« eine große Rolle beim Lernen spielt

oder daß »Serotonin« wichtig ist für Emotionen. Bei der Differenzierung des

ZNS entwickeln sich diese Neurotransmittersysteme: in bestimmten

Hirnarealen werden bestimmte Neurotransmitter vermehrt produziert, und

es kommt zu einem Ineinandergreifen und Verzahnen der Funktionen, so

daß letztendlich bis zur 12.Lebenswoche ein Organismus heranwächst, der

mit seiner Umwelt in Kontakt steht und mit dieser Umwelt etwas anfangen

kann sozusagen artgerecht und adäquat reagieren kann; der seine

Emotionen unter Kontrolle hat -also z. B. nicht wahllos alles beißt, was ihm

vor die Schnauze kommt; und der aus seinen Erfahrungen lernen kann.

Dies war einmal mehr ein kleiner Ausflug in die Gehirnchemie. Es ist aber

wichtig zu wissen, warum gerade Erfahrungen in der Sozialisationsphase

eine so gravierende Rolle für das spätere Verhalten und den Charakter des

Hundes spielen. Die Qualität und Quantität der in der Sozialisationsphase

erfahrenen Umwelteindrücke bildet sozusagen das Referenzsystem heraus,

welches bei allen späteren Entscheidungen im Leben dieses Hundes als

Vergleich herangezogen werden wird. Fehlen die Umweltreize, kommt es zu

Entwicklungsstörungen, den sogenannten Deprivationsschäden. Diese

können unter Umständen irreparabel sein.

 

Durch Umweitreize lernen

Um ein normales, artgerechtes Sozialverhalten zu entwickeln, benötigt der

Welpe in dieser Phase die entsprechenden Umweltsignale. Die so

zialen Gesten an sich, also z. B. Drohgebärden oder die Körperspra

che der Unterwerfung, sind dem Hund zwar angeboren - die Fähigkeit,

diese bei Sozialpartnern zu erkennen und dann darauf korrekt zu

antworten, aber nicht. Genau dieses Lernen wird als Sozialisation bezeichnet.

In der Sozialisationsphase speichert der Welpe alle Lebewesen,

denen er begegnet, bei zumeist positivem Kontakt als Artgenosse oder

befreundete Spezies ab. Gleiches gilt für die unbelebten Umweltreize. Hier

findet eine sogenannte Habituation statt. Was der Welpe in dieser Phase

der Sozialisation nicht kennenlernt, wird später bei ihm zunächst einmal

Angst auslösen. Angst ist eine negative Emotion. Es kommt zu inneren und

äußeren Streßreaktionen des Körpers auf eine tatsächliche oder auch nur

auf eine empfundene Gefahr. Welpen sind zunächst nur neugierig, und erst

ab ca. der 6. Lebenswoche beginnt sich die Fähigkeit, Angst zu empfinden,

überhaupt zu entwickeln. Dabei überwiegt bis zur 3. Lebenswoche noch die

Neugier gegenüber Neuem, während danach immer mehr und mehr

ängstlich reagiert wird. Dies ist durchaus sinnvoll, denkt man an den

Wolfswelpen: In den ersten Lebenswochen wird er nur Heimat und Rudelkumpane

in seinem Leben kennenlernen. Zusätzlich muß er die

Kommunikation unter Wölfen und die Spielregeln im Zusammenleben

lernen. Dafür ist es praktisch, wenn der Organismus neugierig und aufgeschlossen

(also nicht ängstlich) ist.

Wird der kleine Wolf älter und kontrollierter in seinen Bewegungen, entfernt

er sich vom Bau - und läuft Gefahr, z. B. einem Feind zu begegnen. Würde

er dann keine Angst zeigen, wäre er schnell gefressen! Darum sind diese

Phasen und die Entwicklung von Angstverhalten ab einem bestimmten Alter

von der Natur sinnvoll eingerichtet. Diese Phasen laufen aber auch bei

unserem Hund ab - und wenn der Züchter/Besitzer dem keine Rechnung

trägt, kann es später Probleme geben. Auch hier gilt: milder Streß ist

wichtig für die Entwicklung. Wer seine Welpen in Watte packt und ihnen

jede negative Erfahrung erspart, gibt ihnen keinen guten Start ins Leben.

Der Welpe muß lernen, auch mit Angst umzugehen. Aus Angst kann man

weglaufen, angreifen, erstarren oder soziale Gesten der Deeskalation

(Demutsgesten) zeigen. Jede dieser Verhaltensweisen muß der Welpe

üben, um sie später als erwachsener Hund im entsprechenden Kontext

richtig zu zeigen.

Angreifen gehört als offensive Attacke in den Bereich der Aggression

-genauso wie die Drohgebärden. Eine der wichtigsten Lernerfahrungen in

der Sozialisationsphase ist der adäquate Umgang mit Aggression.

Aggressives Verhalten tritt bei Hundewelpen erstmals während der 4. bis 5.

Lebenswoche auf. Es hat keinen speziellen Auslöser, richtet sich gegen die

Wurfgeschwister und wird allein durch deren Anblick provoziert. Es kommt

also zunächst zu Aggression in der sozialen Interaktion der Welpen

untereinander. Erst später kommt es zu objektbezogener Aggression, z. B.

zur Auseinandersetzung um Knochen oder ähnliches. Es ist wichtig, daß ein

Welpe in dieser Phase auch diese aggressiv getönte Interaktionen mit

Wurfgeschwistern und Mutter (möglichst auch noch Onkeln und Tanten)

hat. Nur so kann er den richtigen Gebrauch seiner Waffen lernen bzw.

lernen, mehr oder weniger auf deren Einsatz zu verzichten. Dominanz und

Unterwerfungsgesten werden in dieser Phase geübt und machen die ernste

offensive Attacke im sozialen Kontext letztendlich weitestgehend unnötig.

Nur im Beißspiel mit den Wurfgeschwistern können Welpen die

Beißhemmung einüben. Sie lernen, daß es dumme Folgen hat, wenn sie

ihre Zähne zu stark in die Haut ihrer Geschwister bohren: wird. Diese

werden schreien, eventuell zurückbeißen und/oder das Spiel beenden. Es

ist nicht nett, gebissen zu werden, und es ist nicht schön, wenn auf einmal

niemand mehr mit einem spielt - so lernt der Welpe, seine Zähne mehr und

mehr vorsichtig einzusetzen. Wenn ein Welpe mit 8 bis 10 Lebenswochen

zu seinen neuen Besitzern kommt, ist dieser Prozeß des Lernens noch nicht

abgeschlossen. Die Menschen müssen hier weitermachen, um die

Beißhemmung weiter auszubilden, indem sie selber etwas rabiatere Spiele

provozieren und dann bei zu starkem Einsatz der Zähne das Spiel

schlagartig abbrechen und weggehen. Wenn es die Situation ermöglicht,

kann man vor dem Abbrechen und Weggehen den Welpen auch noch

einmal schnell ins Ohr beißen. Wichtig ist dabei, daß diese Sequenz (Beißen

bis Weggehen) sehr schnell erfolgen muß und daß der Welpe dann auch

deutlich ignoriert wird. Man muß übrigens nicht stark beißen...

Es ist wichtig, daß der Welpe bei seinen neuen Besitzern Kontakte zu

anderen Hunden jeder Altersstufe hat. Leider wird immer noch zu häufig

empfohlen, Welpen bis zur kompletten Ausbildung des Impfschutzes isoliert

zu halten. Hierzu macht eine US-amerikanische Studie eine interessante

Aussage. Es wurden die Todesursachen von Hunden untersucht, die

höchstens 12 Monate alt wurden. Knapp 80% dieser Hunde starben an

Verhaltensproblemen (= sie wurden euthanasiert) und nur 5% starben an

einer der Krankheiten, gegen die geimpft wird.

 

Frustrationen ertragen

Eine wichtige negative Erfahrung, die ein Welpe machen muß und die man

ihm nicht versüßen sollte, ist das Abstillen. Hier lernt der kleine Hund ei

ne weitere Emotion kennen: die Frustration. Frustration führt zu Streß und

ist ein häufiger Grund für Aggression. Unter den Hunden, die mit

Aggressionsproblemen auffällig werden, sind viele, die nicht gelernt haben,

mit Frustration umzugehen. Aus diesem emotionalen Zustand heraus

kennen sie dann häufig nur eine Möglichkeit, den Streß abzubauen: sie

beißen. Frustration tritt dann ein, wenn ich etwas haben will und es nicht

bekomme/erreiche. Der Welpe ist es zunächst gewöhnt, daß die Milch frei

fließt. Er kann höchstens einmal nicht sofort an die Zitze, wenn er mehr als

9 Geschwister hat. Wenn er aber erst einmal den Platz an der Bar hat, kann

er dort seinen Durst stillen, bis er meint, daß er genug hat. Ab der 5.

Lebenswoche wird Mama nun etwas zuckte und läßt ihre Quälgeister unter

Umständen nicht mehr zu Ende trinken; oder die Milchquelle versiegt

vorzeitig heim Saugen, weil die Gesäugekomplexe mit der Produktion nicht

nachkommen. Jedenfalls muß der Welpe akzeptieren, daß bestimmte Dinge

im Leben nicht so laufen, wie er sich das vorstellt. Hier reagieren die

Welpen zunächst sehr invariabel und zumeist mit Meckern und/oder

Aggression. An der Reaktion ihrer Umgebung wiederum lernen sie nun,

welches Verhalten adäquat für die jeweilige Situation ist - sie lernen, auf

den Frustrationsreiz angemessen und variabel zu reagieren. Da die Mutter

zu dieser Zeit meist auch schon für immer längere Etappen das Nest/die

Wurfkiste verläßt, lernt der Welpe auch, daß bestimmte Dinge nicht

permanent verfügbar sind und daß deshalb die Welt nicht zusammenbricht.

Jetzt beginnt die Phase des Zufütterns durch den Züchter: die Umstellung

auf Brei und später festeres Futter. Wenn hier jeder Welpe sofort einen

Platz an der Breischüssel hat und sich wiederum den Bauch vollschlagen

kann, wird dieser Lernprozeß unterbrochen und eine Frustrationstoleranz

wird nur ungenügend oder gar nicht gelernt. Auch hier ist milder Streß

nötig. Die Welpen sollten sich untereinander über den besten Platz an der

Futterschüssel auseinandersetzen können und sollten nicht unbedingt

immer voll gesättigt werden. Natürlich muß man hier als Züchter darauf

achten, daß nicht einer der Welpen permanent zu kurz kommt - aber

zwischen Jammern, weil man etwas zu kurz kommt, und dem tatsächlichen

Hungertod liegt schon eine große Zeitspanne!

 

Negative Erfahrungen zulassen

Worauf sollten also Züchter in der Sozialisationsphase achten, und was

sollten die neuen Besitzer weiterführen? Der Züchter sollte seinen Welpen

ein breites Spektrum an Umweltreizen bieten und den Welpen die

Möglichkeit geben, mit diesen selber fertig zu werden. Dazu gehören auch

negative Erfahrungen! Unter den Begriff »breites Spektrum« gehört z. B.

das Heranführen an die verschiedensten Mitglieder der menschlichen

Rasse. Für einen Hund liegen Welten zwischen einem Kleinkind, einem

agilen Erwachsenen und einem Senior mit Stock. Mit jedem Individuum

muß er sich separat vertraut machen. Hier müssen die neuen Besitzer

einfach daran denken, daß die Sozialisationsphase mit der 12.

Lebenswoche endet und nicht in dem Moment vorbei ist, wo der Hund in

sein neues Zuhause kommt. Auch sie sollten mit ihrem Hund z. B. durchaus

einmal in UBahn oder Bus steigen, ein Einkaufszentrum besuchen etc.

Welpenspielgruppen sind mittlerweile fast zur Institution geworden. Wichtig

ist hierbei, daß dort die Welpen nicht einfach nur vor sich hin spielen«,

sondern daß schon spielerische Ansätze einer Ausbildung (Grundübungen

wie Sitz oder Platz) und der Gewöhnung an die Kommunikation mit

Menschen stattfinden. Nie lernen Lebewesen besser und schneller als in

dieser Phase - man macht sich und dem Hund das Leben nur unnötig

schwer, wenn man diesen Abschnitt ungenutzt verstreichen läßt. Zusätzlich

sollte aber auch das Spiel überwacht werden, um zu verhindern, daß die

Welpen etwas »Unerwünschtes« lernen. Ein sehr ängstlicher Welpe

verkriecht sich z. B. permanent unter dem Schrank vor einem sehr aktiven

Mitglied in der Gruppe... Hier muß eingegriffen und der ängstliche Hund

eventuell kurzfristig mit einem etwas jüngeren und/oder sanfteren

zusammengesetzt werden. So kann auch der ängstliche das Sozialverhalten

üben und lernt, daß man sich bei Sozialkontakten nicht unbedingt immer

gleich verstecken sollte oder muß.

 

Die Juvenile Phase

Die Sozialisationsphase endet mit der 12. Lebenswoche.

Bei einigen Hunderassen, wie z. B. den Nordischen Rassen, kann sie auch

bis zur 14.Lebenswoche dauern. Daran schließt sich die Juvenile Phase an.

Hier festigt und übt der Hund die in der Sozialisationsphase erlernten

sozialen Fähigkeiten und übt sich in der Beißhemmung. Die Juvenile Phase

endet dann mit dem Eintritt in die Pubertät - und ab der 16. bis 18.

Lebenswoche sollte man den Hund auch nicht mehr als Welpen bezeichnen:

Er ist dann schon ein Junghund.

Aus diesem Grund möchte ich zum Schluß auch kurz noch auf den

"Welpenschutz« eingehen. Ich erlebe es häufig, daß mir sechs Monate alte

oder sogar noch ältere Hunde als "Welpen« vorgestellt werden. Die Besitzer

gehen sogar noch von »Welpenschutz« aus. Was aber ist »Welpenschutz«?

Ich bezeichne es als eine Konvention und benutze das Wort, mit den

nötigen Erklärungen relativiert, auch selber, weil viele Personen damit

zumindest den einen Punkt ja richtig assoziieren: Ein Welpe hat manchmal

Narrenfreiheit (interessant ist, daß es in keiner anderen Sprache eine

Übersetzung für diesen Begriff gibt!).

»Welpenschutz« besteht bei Wölfen nur innerhalb einer Familie, eines

Rudels. Und er kommt dadurch zustande, daß zum einen alle Wölfe eines

Rudels miteinander verwandt sind und die eigene Verwandtschaft sich nicht

tötet (mit Ausnahmen) zum anderen aber auch dadurch, daß die Welpen

schnell die entsprechenden Gesten der Unterwerfung lernen und sie im

Krisenfall (genervter Onkel o. ä.) anwenden, um nicht gebissen zu werden.

Hunde, die sich im Park treffen, sind in der Regel nicht miteinander

verwandt. Es ist also völlig normal, wenn hier ein Welpe auch einmal

angeknurrt wird oder sogar Schnappintention gegen ihn gezeigt wird. Ein

gut sozialisierter Welpe zeigt dann die entsprechenden Gesten der

Unterwerfung, und ein gut sozialisierter älterer Hund versteht sie und geht

weg. Das ist Welpenerziehung unter Hunden.

Man darf »Welpenschutz« aber nicht so interpretieren, daß per se der

Welpe machen kann, was er will, Und man sollte auch keinen älteren Hund

als pathologisch aggressiv hinstellen, wenn er Welpen anknurrt. Traurige

Einzelfälle gibt es natürlich, in denen ein Welpe ernsthaft zu Schaden

kommt - und häufig entwickeln sie sich, weil weder der erwachsene Hund

noch der Welpe, und im schlimmsten Fall beide, eine ausreichende und

gute Sozialisation genossen haben.

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