Die Sinnesleistungen unserer Welpen sind nun voll entwickelt und ermöglichen auch allmählich ein genaues Orten von Wahrnehmungen über Nase, Ohren und Augen. So werden nun mit
angespannter Körperhaltung Bewegungsvorgänge in der Umgebung aufmerksam verfolgt. Die Befähigung zur Fortbewegung reift in diesen Wochen rasch und entwickelt sich vor allem im Spiel zu größerer
Schnelligkeit, Wendigkeit und Sicherheit. Welpen größerer und schwerer Hunderassen wirken am Ende der siebten Lebenswoche freilich noch weit tolpatschiger als gleich alte Welpen kleinerer Rassen.
Diese zunehmenden Fähigkeiten beruhen auch auf einem sich stetig steigernden Bewegungsbedürfnis; dementsprechend werden auch die Schlafperioden kürzer.
Die Welpen, deren Gebiß sich nun schnell entwickelt, interessieren sich schon sehr für das Futter der Eltern und haben auch das Recht, es ihnen fortzunehmen. Schweigend erlaubt es
selbst der Rüde, daß ihm ein Welpe einen Futterbrocken aus dem Rachen zieht. Am Anfang wird das Fleisch freilich nur durchgequetscht, aber bald lernen es die Welpen, kleinere Stücke loszureißen und
zu verschlingen. Sie sind dabei imstande, walnußgroße Fleischstücke ohne Schwierigkeit herunterzuwürgen. Sollte der Welpe zuviel auf einmal verschluckt haben - etwa aus Futterneid -, dann zieht er
sich in eine stille Ecke zurück, würgt die Brocken wieder hervor und fängt von neuem mit dem Fressen an.
Die Welpen saugen natürlich immer noch bei der Mutter. Gewöhnlich bis zum Ende dieser Periode. Anfänglich liegt man noch im Lager zum Saugen, aber je mehr die Welpen sich außerhalb
des Lagers herumtreiben, um so häufiger wird nun auch im Freien getrunken. Bald sitzt die Hündin ebenfalls dabei, und schließlich säugt sie ihre Welpen oft im Stehen. Aber immer häufiger flüchtet sie
vor den unersättlichen Plagegeistern, deren nadelspitze Zähnchen auch für eine derbe Hundezitze zur Qual werden. Kann sich die Hündin nicht vor den Welpen an einen für jene unerreichbaren Ort
zurückziehen, dann vertreibt sie diese knurrend vom Gesäuge.
Wir können jetzt schon bei den Welpen eine ganze Reihe sozialer Verhaltensweisen erkennen: das Wedeln mit dem Schwanze als Ausdruck freudiger Erregung und Zuwendung, das Einklemmen
des Schwanzes als Ausdruck ängstlicher Ergebenheit, oder das schon geschilderte Mundwinkelstoßen, Ausdruck freundlicher Ergebenheit und Zuneigung. Die Welpen streiten schon recht zornig um
Futterbrocken, sträuben dabei das Fell, legen die Ohren an, ziehen die Mundwinkel zurück und entblößen knurrend die Zähne.
Zwar ist die Heimbindung und die Bindung an die Mutter noch ausgeprägt erhalten, doch wagen sich die Welpen täglich weiter vom Lager weg, vor allem, wenn sie dabei den Eltern
folgen können. Entfernen sich diese aber weiter als 30 oder später 5o Meter, bleiben die Welpen zunächst unschlüssig stehen und ziehen es vor, doch lieber wieder zum Lager zurückzukehren.
Neugier und Lerntrieb treten nun stark in den Vordergrund und kennzeichnen das ganze Welpenleben. Alles wird erkundet und probiert, an allen erreichbaren Dingen wird versuchsweise
herumgekaut.
Zweifelsohne gibt es jetzt zahlreiche angebotene Lerndispositionen, die zu schnellen Lernerfolgen im Bereich des Nahrungserwerbs und des Sozialverhaltens führen.
Gerade sie müßten noch sehr sorgfältig studiert werden, denn im allgemeinen sind solche besonderen Lernbegabungen ganz spezifisch auf passende Altersstufen verteilt und müssen eben in der jeweiligen
Zeit ausgenutzt werden. Kann der Welpe von einer solchen Lernphase keinen Gebrauch machen, besteht nach allem, was ich hier bislang beobachten konnte, die akute Gefahr, daß Störungen bei den jeweils
zugeordneten Verhaltensmustern eintreten oder überhaupt Teile des generellen Lernvermögens lahmgelegt werden. Außerdem lassen sich diese verschiedenen Lerndispositionen für Sozialverhalten besonders
für die künftige Einstellung des Hundes zum Menschen auswerten.
Mir scheint, daß gerade in diesen Wochen das Lernen von vielen vorprogrammierten Lernbefähigungen bestimmt wird, die zeitlich begrenzt sind, dafür aber das Gelernte zeitlebens
festlegen. Mit anderen Worten: Das, was in dieser Zeit nicht gelernt wird, kann niemals mehr nachgeholt werden.
Bei solchen engbegrenzten, zeitlich festgelegten Lernvorgängen sprechen wir von Prägung. Einer solchen Prägung entspricht das künftige Verhältnis des Hundes zum Menschen. Das
wenigstens konnte ich bislang genauer analysieren.
Wenn wir täglich in dieser Zeit den Welpen die Möglichkeit bieten, sich mit unserer Hand zu befassen, dann werden aus diesen Welpen dem Menschen gegenüber ausgesprochen
kontaktfreudige Hunde. Bieten wir den Welpen diese Möglichkeit während dieser Zeit nur wenige Male, dann werden aus ihnen kontaktarme Hunde. Vermeiden wir in dieser Zeit jede Möglichkeit, daß der
Welpe uns beschnuppert, wird es zwischen Mensch und Hund niemals einen Kontakt geben, auch wenn wir uns nach der siebten oder achten Lebenswoche noch so um die Junghunde bemühen. Das Beste, was wir
danach noch erreichen können, ist eine gewisse Zahmheit; benehmen wir uns aber ungeschickt, wird der Hund zum Angstbeißer.
Wir haben hier in dieser Richtung viele Versuche angestellt. Es genügt z. B. nicht, daß der Welpe den Menschen täglich sieht, es genügt auch nicht, daß er direkt aus der Hand des
Menschen sein Futter bekommt. Er muß unbedingt Berührungskontakt mit dem Menschen bekommen, wobei wohl der Geruch entscheidend ist. Es hat sich auch gezeigt, daß Welpen, die nur mit einem Menschen
derartigen Kontakt aufnehmen konnten, späterhin fremden Menschen gegenüber unsicher und kontaktarm blieben, während Welpen, die von vielen Menschen gestreichelt wurden, sich zu richtigen
Allerweltshunden entwickelt haben die mit jedem fremden Menschen bereitwillig Kontakt aufnehmen.
Da der Hund ja erfahrungslos zur Welt kommt und seine Artgenossen erst nach dem 18. Lebenstag wahrnehmen kann, muß es einen Mechanismus geben, der das Bild vom Artgenossen
unverrückbar für alle Zeiten festlegt. Wenn nun in dieser Zeit zusätzlich der Mensch in Erscheinung tritt und vom Welpen genauso beschnuppert werden kann wie Eltern und Geschwister, dann wird auch er
zum Artgenossen, der Welpe wird also auch auf ihn geprägt.
Wie unselektiv dieser Vorgang ist, beweist ein Versuch des Hundeethologen Fox, der Chihuahua-Welpen Katzenwürfen einschmuggelte und von den Katzenmüttern aufziehen ließ. Diese
Welpen waren zunächst völlig auf Katzen geprägt und konnten, als sie später normal aufgezogenen Welpen der gleichen Rasse konfrontiert wurden, mit jenen nichts anfangen.
Freilich kann so ein »verkehrt« geprägter Hund später dann doch dahinterkommen, daß andere Hunde Artgenossen sind. In einem derartigen Fall ist die Prägung nicht unverrückbar, denn als Nasentier hat
der Hund die Möglichkeit, die Ähnlichkeit seines eigenen Geruches mit dem anderer Hunde zu bestimmen. Er kann dadurch die Barriere überwinden, da ihm ein derart ähnlicher Geruch nicht als fremd,
feindlich oder abstoßend erscheint.
Einen ähnlich prägungsartigen Vorgang scheint es nach meinen bisherigen Beobachtungen auch hinsichtlich der Futterwahl zu geben. Hunde, die in diesem Alter niemals rohes Fleisch
erhielten, lassen sich späterhin nur sehr mühsam, wenn überhaupt, daran gewöhnen. Die Erfahrung der Eltern bedingt ja, daß der Welpe nur Nahrung erhält, die für einen Hund bekömmlich ist. Es ist also
zweckmäßig, wenn dieses Nahrungsangebot sich dem Welpen einprägt, damit er später einmal nicht Gefahr läuft, z.B. giftige Pilze zu versuchen, sondern einfach bei dem bleibt, was sich bewährt hat, und
auf das er geprägt ist.Wahrscheinlich können wir noch mit mehr derartigen vorgegebenen und zeitlich begrenzten Lernmechanismen in diesem Alter rechnen, deren genauere Kenntnis für die Erziehung der
Welpen zu guten Hunden für uns mancherlei praktischen Wert haben könnte. Auch wenn man diese Möglichkeiten nicht überbewerten will, so scheint doch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß zumindest
manches von dem, was der Hundeführer als das »Wesen« im Sinne von angebotenen Charaktereigenschaften nennt, in dieser Zeit beeinflußbare, also umweltabhängige Wurzeln hat.
Wir können feststellen, daß die Eltern in dieser Entwicklungsperiode den Welpen überaus duldsam sind und den Kleinen sehr viel »Narrenfreiheit« lassen. Der Vater spielt geduldig
mit den Welpen, allerdings bleibt er anfänglich noch ziemlich grob, als wollte er sie auf ihre Widerstandskraft testen. Aber der tiefere Sinn liegt wohl darin, daß auf diese Weise die Welpen sehr
bald lernen, die notwendigen Beschwichtigungsrituale vorzubringen, ehe es noch zur tätlichen Auseinandersetzung kommt. Das lernen die Welpen tatsächlich recht bald, und sie erproben es dann sogar mit
erstaunlichem Einsichtsverhalten. So kann man sehr heitere Szenen erleben: Ein Welpe läuft zum ruhenden Vater, baut sich vor ihm auf und vollführt sein Pfötchengeben unter lauten Angstschreien (die
auch eine Aggressionshemmung darstellen). Dann beißt er den Alten blitzschnell in die Nase und läuft - man ist versucht, zu sagen: lachend - davon.
Solche Methoden werden auch angewandt, wenn ein Welpe einem Althund einen Futterbrocken wegnehmen will. Wenn der, erstaunt über das Getue des Welpen aufschaut, packt dieser flugs
den Brocken und saust damit ab. Man kann natürlich Sozialverhalten auch so einüben.
Durch diese und ähnliche Dinge entwickelt sich zugleich ein festes Vertrauensband zum Rüden, der nun allmählich anfängt, die Welpen ein wenig zu disziplinieren, was gegen Ende
dieses Lebensabschnittes deutlicher sichtbar wird. So knurrt er sie jetzt auch an, wenn sie ihm allzu lästig werden und verscheucht sie.
Besonders interessant wird das alles, wenn außer dem Wurf noch weitere Geschwister aus einem früheren Wurf der Eltern im Zwinger sind. Sie sind die Hauptspielpartner der Welpen in
dieser Zeit. Werden sie aber einmal im Eifer des Vergnügens zu heftig, dann fährt der Rüde sofort dazwischen und weist den Grobian in die Schranken. Ebenso achtet er darauf, daß kein anderer Hund an
das Futter geht, solange die Welpen daran sind, und auch die noch säugende Hündin hat das Vorrecht beim Futter.
Die Einflüsse innerhalb des ersten Lebensjahres prägen den Hund, und sie können stärker sein, als seine angeborenen Eigenschaften.
8. und 12. Woche - Sozialisierungsphase
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Die Welpen sind zwar immer noch verhältnismäßig eng an ihr Heim »erster Ordnung«, also das schützende Lager gebunden, sie haben sich aber sozusagen mit einen umfangreicheren
Spielplatz vertraut gemacht, ein kleines Gebiet, das ihnen ermöglicht, bei etwaiger Gefahr schnell in den Schutz des Lagers und der Eltern zu flüchten. Heim »zweiter Ordnung« wird mit zunehmender
Behendigkeit natürlich immer mehr erweitert, entsprechend der Neugier der Heranwachsenden. Die Eltern bringen weiterhin Nahrung herbei, häufig auch kleinere Beutetiere, die den Welpen lebend
vorgesetzt werden. So können sich die Heranwachsenden im Fangen und Töten von Beute üben (s. Kap.: Der Hund als Jäger). Immer noch dürfen die Welpen zuerst an die Nahrung heran, erst nach ihrer
Sättigung gehen auch die Alten an das Futter. Untereinander freilich raufen die Welpen schon sehr nachdrücklich um die besten Stücke, und man kann die nun sehr ausgeprägten Verhaltensweisen der
Abwehr mit Fellsträuben, Knurren, Abwehrschnappen und anderes mehr beobachten. Vorhanden waren sie schon in der Prägungsphase, aber ihre volle Entfaltung erreicht das Abwehrverhalten am Futter etwa
in der ersten Woche dieses Lebensabschnittes. Und jetzt tut der wachsame Hundezüchter gern das, was ihm zwar seine Liebe zu Hunden diktiert, das aber dennoch grundfalsch ist. Er folgt dem bereits von
dem Altmeister der Kynologie Emil Hauck gegebenen Rat und baut sich Futterboxen, in denen die Welpen getrennt fressen können. Das ist gut gemeint, denn es soll keiner zu kurz kommen. Wenn man aber
genügend Futter gibt, kommt keiner zu kurz! Denn derjenige, der genug hat, zieht sich vom Futter zurück, und so kommt jeder an die Reihe. Aber das Streiten um Futter hat eine bedeutsame soziale
Funktion, denn man lernt dabei als Welpe, wie man sein Recht behauptet, und reagiert überdies eine ganze Menge Aggression ab. Ich jedenfalls habe die Beobachtung gemacht, daß dieser in dem Alter der
Sozialisierungsphase so harmlose Scheinkampf ums Futter — es passiert ja im Grunde gar nichts! dazu beiträgt, daß man später ganz friedlich Kopf an Kopf an der Beute frißt, weil man inzwischen
gelernt hat, daß aller Futterneid sinnlos ist, wenn man ohnehin genügend Beute durch die Zusammenarbeit auf der Jagd macht. Wer einmal gesehen hat, wie eine Meute von etwa 30
Foxhounds am Ende der Reiterjagd mit einem Pansen belohnt wird, weiß, was ich meine: Da gibt es einen ganzen Berg von strampelnden Hundeleibern, jeder will ein Stück von dem begehrten Futter — aber
man hört kein Knurren und kein Zanken, sondern nur zufriedenes Schmatzen.
Ziel aller Jugendentwicklung des Hundes ist beste soziale Partnerschaft mit dem Artgenossen. Nun ist es so, daß der Sozialverband eine höhere Evolutionsstufe darstellt als
Einzelgängertum. Einzelgänger dürfen keine Nahrungskonkurrenten dulden. Der Zusammenschluß zu Gruppen führte aber zu einer gesicherten Ernährungsgrundlage. Das Leben in Gruppen mit gesicherter
Ernährungsgrundlage verbietet jedoch asozialen Futterneid. Der große deutsche Naturforscher Ernst Haeckel hat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erkannt: In der Jugendentwicklung eines
Tieres tauchen viele urtümliche Merkmale auf. Die Höherentwicklung einer Tierart erfolgt nicht so, daß von heute auf morgen alles umgeworfen wird, was bislang brauchbar war. Die unbrauchbar
gewordenen Eigenschaften werden oft in Stadien der Jugendentwicklung noch erhalten. Haeckel formulierte das so: Die Jugendentwicklung eines Tieres ist eine kurzgefaßte Wiederholung der
stammesgeschichtlichen Entwicklung der Art. Ich halte diese in den ersten Lebensmonaten des Hundes so auffallende Aggressionsbereitschaft am Futter für nichts anderes als eine Art von Abreaktion
urtümlicher, »vorhundlicher« Verhaltensweisen, also Urerinnerung an einstiges solitäres Leben der Ahnen hundeartiger Raubtiere. Können die Welpen in ihrer Jugend dieses Verhalten ausreichend
abreagieren — also zu einer Zeit, in der dabei kein ernsthafter Schaden entstehen kann, dann werden sie späterhin zu friedlichen Freßkumpanen, die sich bestenfalls zu überlisten suchen, aber des
Futters.wegen nicht gleich totbeißen. So erlebte ich es wenigstens in Zwingern, in denen mehrere Generationen gemeinschaftlich heranwuchsen und in denen es sogar zu einer Übervölkerung kam. Wenn
vierzehn Hunde auf 50 Quadratmeter Zwinger friedlich nebeneinander fressen, dann führe ich das darauf zurück, daß sie ihren archaischen asozialen Futterneid in früher Jugend artgemäß
abreagiert hatten. Wie anders wäre es dann aber auch verständlich, daß ein ausgewachsener Rüde — der als Welpe selbst einmal schreckenerregend knurrte, weil ein Bruder oder eine Schwester vom
Futterberg auch ein Stückchen haben wollte — peinlichst genau darauf achtet, daß zuerst die säugende Hündin ihr Futter erhält, oder daß später zunächst die kleinen Welpen fressen, und die anderen
Rudelmitglieder nicht eher an das Futter dürfen, bis sich die Kleinen den Bauch vollgeschlagen haben. Ein Welpe, der es nicht gelernt hat, in der Gemeinschaft zu fressen, wird zeitlebens
futterneidisch bleiben, und er wird als erwachsener Hund seinen eigenen Welpen das Futter skrupellos wegfressen.
Urverhalten, das von der Evolution noch nicht ganz überwunden werden konnte und in der Jugendentwicklung noch auftaucht, muß eben in der gegebenen Zeit abreagiert werden, wenn es
später nicht zu einem Störfaktor werden soll.
Soviel zum Verhalten an der Beute. Die Verhaltensweisen des Beutemachens, die sich teils im Spiel, teils im Ernst um diese Zeit mehr und mehr bemerkbar machen, kann ich hier
übergehen, da dieser Themenkreis Gegenstand des nächsten Kapitels sein wird.
Hier sollen uns vor allem jene Verhaltensweisen interessieren, die dem zwischen achter und zwölfter Lebenswoche liegenden Lebensabschnitt ihren Namen geben.
Zunächst können wir jetzt häufiger Kampfspiele beobachten, bei denen nicht nur die einzelnen Formen taktischer Bewegungsweisen geübt, sondern auch verschiedene Elemente des
Ausdrucksverhaltens sichtbar werden. Es gibt nun Sieger- und Verliererspiele mit Rollentausch, wobei die sozialen Blockaden aggressiver Verhaltensweisen sowohl instinktmäßig als auch über die
Erfahrung ausreifen. Im Eifer des Spieles wird gern einmal zu heftig in empfindlichere Körperteile gebissen. Abwehrreaktion und Schmerzlaut des Betroffenen belehren den rüpelhaften Bruder, daß er zu
weit gegangen ist. Er lernt dabei, seine eigenen Kräfte abzuschätzen und unter geeignete Kontrolle zu bringen. Wenn wir jetzt einen Welpen nachdrücklich darüber belehren, daß unsere Hand nicht aus
Hartholz ist, begreift er bald, wie weit er gehen darf und wird auch als ausgewachsener Hund mit uns »auf die sanfte Methode« spielen. Ein Hund, der es gelernt hat, kann so zart in unsere Hände oder
Beine »beißen«, als wenn wir neugeborene Welpen wären.
So werden also in diesen Kampfspielen allmählich jene Regeln entwickelt, die ernsthafte Beschädigungen des Artgenossen und damit Schwächung des Sozialverbandes verhindern. In der
anschließenden Rangordnungsphase wird diese soziale Hemmung erstmals eine besondere Bedeutung erhalten.
Eine andere Art von Spielen sind die meist unter Anführung des Vater-Rüden erfolgenden Meutespiele. Sie sind eine Vorübung des Zusammenspieles bei der Jagd auf flüchtiges Wild, das
nun der Vater mimt. Er fordert die Jungen zur Verfolgung auf, steigert im Laufe der Zeit durch allerlei Finten die Schwierigkeitsgrade und läßt sich am Ende meist fangen und »überwältigen«.
Während bislang die Welpen volle »Narrenfreiheit« genossen hatten und praktisch alles durften, setzt nun eine zunehmend straffere Disziplinierung durch den Vater-Rüden ein. Seine
Härte- und Mutproben bekommen einen ordnungsbestimmenden Charakter, er bestimmt auch Anfang und Ende jedes Spieles mit den Welpen und setzt dabei seinen Willen sehr energisch durch. Der Rüde setzt
»Tabus«, um deren Einhaltung er sich sehr konsequent kümmert. So »erklärt« er z. B. einen alten Knochen zum Tabu. Zunächst versuchen die Welpen sich darüber hinwegzusetzen. Sofort werden sie
energisch bestraft, indem der Rüde den Gesetzesübertreter am Nackenfell packt und kräftig durchschüttelt. Natürlich schreit der Betroffene und wirft sich, sobald losgelassen, demütig auf den Rücken.
Kurze Zeit später aber, wenn der Rüde augenscheinlich mit anderem beschäftigt ist, schleicht der Gemaßregelte ganz vorsichtig abermals zu dem tabuisierten Knochen — und erhält neuerdings Prügel. Das
kann sich mehrfach wiederholen, und man hat den Eindruck, daß es der Welpe ganz genau wissen will, was er von der Konsequenz des Alten zu halten hat. Wer einen Welpen zu Hause hat, wird dieses
Erproben des Erziehers durch den Welpen ebensogut beobachten können.
Die auf diese Weise herausgeforderte Bestrafung des Welpen wird von ihm aber genau verstanden. Sie ist das Recht des Vaters, und sie wird alsbald durch größte
Anhänglichkeitsbezeugung beantwortet. Freundlich geht der Bestrafte zum Rüden und erweist ihm durch Schnauzenstoß, Mundbelecken und Pfötchengeben seine Reverenz. Es ist, als wollte er sagen: » Chef,
du weißt, was du willst, zu dir kann man Vertrauen haben.« Uneingeschränkte Anerkennung der elterlichen Autorität ist eben die Grundlage für das Überleben der Art — nicht nur beim Hund!
So entwickeln sich also aus dem kindlichen Spiel soziale Verhaltensweisen, insbesondere auch die Partnerschaft mit den Eltern. Das hat natürlich auch für uns eine besondere
Bedeutung, denn wir müssen uns gerade in dieser Zeit darum bemühen, die Sozialisierung mit dem Menschen auszubauen. Wird das unterlassen, so wird die soziale Bindung an den Artgenossen stärker als
die zum Menschen.
Der Welpe muß also das Zusammenspiel mit dem Menschen als eine für beide Seiten erfreuliche Wechselbeziehung kennenlernen. Freundliche Reaktionen des Menschen, wie Loben oder
Streicheln auf erwünschte Verhaltensweisen, prägen sich dem Welpen ebenso ein wie disziplinierende Strafen (etwa Anpacken am Nackenfell und Schütteln) bei Übertretung von Tabus. In der Regel sind
hier einige Wiederholungen notwendig, da der Welpe, wie schon angedeutet, auch die Konsequenz seines menschlichen Erziehers erprobt.
Wichtig ist, daß wir so oft als möglich mit dem Welpen spielen. Je lustvoller das Spiel mit dem Menschen ist und je mehr erstes Lernen als Spiel empfunden wird, um so größer wird
die künftige Lernfreudigkeit des Hundes. Sie wird in dieser Phase für alle Zeiten festgelegt.
Der Welpe muß dabei auch im Umgang mit Menschen Selbstsicherheit und Selbstvertrauen entwickeln; das notwendige Disziplinieren muß deshalb in einem vom Welpen verkraftbaren Rahmen
bleiben. Das ist der Fall, wenn der Welpe auch nach einer unumgänglich notwendigen Strafe unmittelbar danach seine Anhänglichkeitsbezeugung darbringt. So sollten wir es uns auch zum Grundsatz machen:
Strafe gibt es nur auf Übertretung von klar festgelegten Verboten. Es ist wohl überflüssig, näher zu begründen, daß diese Strafe auch auf dem Fuß folgen muß, damit dem Welpen der Zusammenhang von
Übertretung und Strafe verständlich ist. Das bedeutet, daß man — genau wie der Hunderüde — den Welpen in dieser Phase stets im Auge behalten muß, und, kann man das nicht, notfalls so unterzubringen
hat, daß er keines der im Zusammenleben mit dem Menschen notwendigen Tabus überschreiten kann. Dabei muß man natürlich darauf bedacht sein, daß der Welpe stets nur kurzfristig allein bleibt. Erst
wenn der Welpe etwas älter geworden ist, also nach Ablauf dieser Lebensphase, kann man vorsichtig eine nachträgliche Bestrafung anwenden, nämlich dann, wenn er imstande ist, seine zurückliegende Tat
mit unserem Unwillen zu verknüpfen. Das geht dann, wenn man ihm etwa das zerbissene Buch unter die Nase hält und er zu erkennen gibt, daß er sich schuldig fühlt. Er kann das dann bekanntlich so
überzeugend darstellen, daß man Hundeverhalten nicht erst gelernt zu haben braucht. Ob man den Junghund hart oder milde bestrafen soll, ist eine Frage, die man individuell entscheiden muß; nicht
jeder Welpe ist gleich, mancher braucht eine festere, mancher eine leichtere Hand.
Strafe selbst ist ein weiter Begriff. Sie reicht von einer unwilligen Abwendung von dem Sünder über leisere oder lautere Worte bis zum kräftigen Klaps oder Durchschütteln. Auch das
muß jeder mit seinem Hund ausmachen, da gibt es kein Rezept.
Wenn wir vom Welpen etwas wollen, wenn er etwas nach unseren Wünschen machen soll, dann erreicht man das nur über Belohnung. Wenn der Hund den Ball nicht apportiert, darf er
deswegen nicht bestraft werden. Man kann höchstens das Spiel abbrechen, wird umgekehrt ihn aber überschwenglich loben, wenn er erstmals den Ball bringt.
Für den kleinen Hund ist jedes Spiel mit seinem großen Beschützer ein erfreuliches, lustbetontes Erleben. Er kann kaum genug davon bekommen und möchte so lange mit uns spielen, bis
er müde ist. Nun ist es im allgemeinen so, daß wir schneller müde werden als unser Hund. Da aber gerade in diesem Alter der Spielabbruch als disziplinierende Maßnahme vom Welpen durchaus begriffen
wird, können wir uns das leicht zunutze machen, indem wir das Spiel dann abbrechen, wenn er dabei etwas tut, was er nicht tun sollte. So eine passende Gelegenheit findet sich meist leicht. Wir können
als Spielabbruch auch den Ball weiter wegrollen, dann wird er sich mit ihm beschäftigen und uns in Ruhe lassen. Es könnte aber sein, daß er dabei einmal mehr oder weniger zufällig den Ball zu uns
bringt. Das ist der große Augenblick, den wir nicht versäumen sollten. Wenn wir jetzt unsere Freude zeigen und weiterspielen, wird der Welpe den Zusammenhang begreifen (wobei wir nicht enttäuscht zu
sein brauchen, wenn er das nicht schon mit sechs Wochen tut!).
Alle gemeinsamen Unternehmungen — wie man Ausbildung, Abrichtung oder Dressur auch nennen könnte — können so aus der Beobachtung des vergnügten Welpenspieles heraus entwickelt
werden, und damit bleibt für den Junghund alles Lernen lustbetont. Wenn der Wunsch des Menschen nach besonderen Leistungen für den Hund stets mit einem freudigen Erleben verbunden ist, wird für ihn
Lernen auch späterhin, wenn er längst erwachsen geworden ist, ein Vergnügen sein. Nur unter diesen Voraussetzungen erfüllt der Mensch seine Rolle als Erzieher, als anführender Sozialpartner, und nur
so kann er eine sinnvolle und beständige »Mensch-Hund-Meute« aufbauen.
Die vorgebliche »Wesensschwäche« so vieler Hunde beruht häufig genug auf Erziehungsfehlern in der Sozialisierungsphase, in der zumeist viel zuwenig mit dem Hund gespielt, dafür um
so mehr »dressiert« wird. Manche Menschen halten sich für verhinderte Löwenbändiger und den Hund für einen wilden, reißenden Wolf, wobei sie gleich zwei Denkfehler begehen. Erstens ist ein
Raubtierdompteur längst kein Tierbändiger mehr, der die »wilde Bestie« unter seinen eisernen Willen zwingt, sondern ein feinfühliger Tierfreund, der weiß, daß er die größten Leistungen nur dann
erwarten kann, wenn die großen Katzen mit Freude bei der Arbeit sind. Zweitens gibt es keinen »wilden, reißenden« Wolf, sondern nur freundliche, überaus friedliche Wölfe, die niemandem etwas zuleide
tun wollen, sieht man davon ab, daß sie von der Natur dazu geschaffen wurden, die Übervermehrung vieler Tierformen ihres Lebensraumes zu verhindern und dafür deren Bestand durch Beseitigung
schwächlicher Individuen gesund zu erhalten. Für diese Lebensaufgabe haben sie ein Sozialleben entwickelt, das selbst uns Menschen beispielhaft sein kann und das sie — zumindest in Form des Hundes —
mit uns zu teilen bereit sind. Wer das verkennt, und wer das nicht gerade in jener Zeit, in der der Welpe seine sozialen Antriebe verwirklicht und ausbaut, sehr bedacht fördert, der macht sich dem
Hund gegenüber schuldig.
Die in dieser Zeit durch falsche Behandlung erworbenen Unsicherheiten sind kaum mehr rückgängig zu machen, die unverkraftbaren Konfliktstoffe wirken in der Seele des Hundes
zeitlebens nach. Das Schicksal eines in seiner Jugend falsch behandelten Hundes liegt auf der Hand. Oft genug muß die Spritze des Tierarztes seinem verpfuschten Leben ein Ende setzen, und nur sehr,
sehr selten findet er verständnisvolle Menschen, die sich seiner mit viel, viel Geduld annehmen, um ihm wenigstens ein endgültiges Zuhause bieten zu können.
Es kann wohl nicht oft genug betont werden, daß der Hund kein festgelegtes Instinktwesen ist. Es genügt nicht, alle angeborenen Verhaltensweisen zu erlernen, um besser mit dem
Hunde auszukommen. Viel wichtiger ist es dagegen, seine altersbedingten angeborenen Lernfähigkeiten genau zu analysieren, sein Verhältnis zum Elternkumpan zu beobachten, und man muß die Interaktionen
zwischen Vater-Rüden und Welpen in den einzelnen Lebensphasen studieren, um zu wissen, wie und wodurch sich die jeweilige Hundepersönlichkeit aufbaut. Er ist eben ein Lerntier, und so
erfordert die Erforschung seiner Sozialentwicklung und dessen, was dabei gelernt wird, unsere größte Aufmerksamkeit. Weite und Umfang der sozialen Partnerschaft zwischen Mensch und Hund werden eben
jetzt in der Sozialisierungsphase unwiderruflich geprägt und wirken für alle weitere Zukunft auf fast alle Eigenschaften des Hundes ein.
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13. bis 16. Woche - Die Rangordnungsphase
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Je älter die jungen Hunde werden, um so schwerer wird es nun auch, genauere Zeitbestimmungen für die einzelnen Lebensabschnitte und der
in ihnen auffallenden Verhaltensweisen und Reifungsvorgänge festzulegen. Bei den einzelnen Hunderassen mag es da größere Schwankungen geben, da manche früh andere später reif sind. Auch kann sich
jetzt die Erscheinung der Verjugendlichung, wie sie im Haustierstande häufig ist, bereits deutlicher abzeichnen, das heißt, daß manches in körperbaulicher wie seelischer Entwicklung nicht so
vollkommen oder verzögert ausreift. Gerade die Rangordnungsphase beleuchtet das deutlich. Sie ist nämlich bei temperamentvollen oder grundsätzlich zur Aggression neigenden Hunden viel schärfer
erkennbar als bei Hunden, die jene Eigenschaften nicht so ausgeprägt aufweisen.
Grundsätzlich entwickelt sich die Rangordnung innerhalb der Welpenschar schon in den ersten Lebenswochen; es wäre sogar denkbar, daß die körperliche Entwicklung während der vegetativen Phase in einem
ursächlichen Zusammenhang mit der künftigen Rangordnung steht. Der Welpe, der sich am stärksten entwickelt, wird eben der Ranghöchste, und derjenige, der am schwächsten entwickelt ist, wird der
Rangniederste. Ich bin aber gar nicht so sicher, ob das alles so einfach ist. Rangordnung ist nicht nur eine Frage der körperlichen Stärke. Sie ist bei einem Lernwesen wie dem Hund auch eine Frage
der Intelligenz, und es mag sein, daß spätere körperliche Unterschiede erst eine Folge davon sind. Wenn ein Welpe mit schneller Auffassungsgabe mehr Futter oder qualitativ besseres Futter ergattert,
hat er Aussicht, stärker als seine Geschwister zu werden. Das kann dann vortäuschen, daß seine Rangordnung nur eine Frage körperlicher Kraft ist.
Aber Kraft ist bei einem sozialen Rudeltier nicht alles. Ich habe oft genug erlebt, wie sich ein großer, kräftiger Hund einem Hund einer viel kleineren Rasse freundlich ergeben zeigt, weil der Kleine
älter ist. Ich habe ebenso gesehen, wie ein körperlich weit unterlegener Hund seinen großen Artgenossen einsichtslos immer wieder angriff, obgleich er dabei jedesmal Prügel bezog. Auch hier war der
Große jünger, aber es lag dabei eine schwierige Situation vor, wie sie nur von Menschen herbeigeführt werden kann. Versetzt man nämlich einen älteren, sich zum Hause gehörig fühlenden Hund in einen
Zwinger und führt man einen jüngeren in Haus und Familie ein, dann hat man eine unlösbare Konfliktsituation geschaffen. Der Ältere kann es nicht verwinden, daß ein Jüngerer seinen Platz eingenommen
hat, und der Jüngere ist natürlich nicht bereit, seinen Platz aufzugeben, er fühlt sich wohl auch verpflichtet, Familie und Haus gegen den in den Zwinger verbannten Hund zu verteidigen. Rangordnung
also ist nicht oder zumindest nicht allein eine Frage der körperlichen Überlegenheit, sie ist wohl weit mehr eine Frage der psychischen Überlegenheit.
Nun kann man von sechs oder acht Wochen alten Welpen noch nicht erwarten, daß sich ihre seelische Überlegenheit voll entwickelt hat. Es muß zur Festlegung der Rangordnung innerhalb der Welpenschar -
die ja einmal ein Rudel werden soll - noch eine Art von Abschlußprüfung vorgesehen sein. Auf freier Wildbahn jagende Wölfe können es sich nämlich nicht leisten, daß die Rangordnung immer wieder in
Frage gestellt wird. Das würde die Schlagkraft des Rudels erheblich schwächen.
Solche Dinge kann man nur in Zwingern oder Gehegen sehen, in denen Rudelfremde zusammengesetzt werden, die nicht in Familienverbänden aufgezogen worden sind. Aber selbst dann, wenn man Hunde
zusammensetzt, die in verschiedenen Familien aufgewachsen sind, geht es immer noch nicht gut, weil einmal die Individualität der Familien Unterschiede im Aufwachsen der Jungtiere mit sich bringen
kann, und außerdem, weil eben diese zusammengewürfelten Tiere ihre Rangordnung nicht eingespielt und gefestigt haben. Sie müssen sie nun austragen, und das ist bei Hunden, die älter als ein Jahr
sind, sehr problematisch. Leicht genug kann das sogar mit dem Tod des einen oder anderen Hundes enden. Auf jeden Fall wird, wenn die zusammengesetzte Gruppe größer ist, immer eine gewisse Unruhe und
Neigung zu aggressiven Handlungen vorhanden sein.
Anders ist das, wenn eine Welpengruppe gemeinsam die Rangordnungsphase durchläuft. Nur sie ist von größerer Unruhe erfüllt, und wir können auch viel aggressives Verhalten beobachten. Allerdings sind
die Junghunde noch in einem Alter, in dem sie sich nicht - oder in der Regel nicht - ernsthaft verletzen. Eine Ausnahme machen da die einst auf Aggressivität gezüchteten Terrier. Ich habe selbst
gesehen, wie schwer ein Skye-Terrier von seinen Geschwistern verletzt worden ist, und die Züchterin berichtete mir, daß solche »Unfälle« fast in allen Würfen zu verzeichnen seien.
Doch soll uns hier weniger diese übersteigerte Aggression beschäftigen als vielmehr das Normalverhalten bei gesunden Junghunden. Und da läßt sich in dieser Zeit sehr schön beobachten, wie neben
lausbubenhaften Rangeleien - die natürlich mit viel Geschrei verbunden sind - auch sehr überzeugende Mutproben geliefert werden, bei denen es auf »Wesensfestigkeit«, auf seelische Widerstandskraft
allein ankommt.
Ich kann mich hierzu auf ein Beispiel beschränken, da es sehr gut zeigt, worauf es bei diesen jugendlichen Rangordnungs »Kämpfen« in Wahrheit ankommt. Ich hatte einmal einen Wurf von fünf
norwegischen Elchhunden, die als sehr temperamentvolle und stimmfreudige Kerle während dieser Zeit jeder Rokkerbande alle Ehre gemacht hätten. Dabei konnte ich folgende Szene beobachten: einer hatte
sich mit einem Futterbrocken unter die Hütte verzogen. Die anderen vier standen nun um die fast von allen Seiten offene Bodenvertiefung herum und unternahmen abwechselnd Scheinangriffe auf den
ersteren. Es sah zunächst so aus, als wollten sie ihn mit aller Gewalt da herausbekommen. Aber bald zeigte es sich, daß sie keine Gewalt anwandten - alles, was sie da mit Geschrei, Gebell und
Knurren, mit Drohschnappen und Beißstößen in die Luft aufführten, waren nichts anderes als Einschüchterungsversuche, so, als wollten sie zu viert den fünften seelisch fertigmachen und zur Flucht
veranlassen. Aber der ließ sich nicht irremachen, schnappte nach allen Seiten und behauptete seine Position, bis die anderen der Sache müde wurden und einer nach dem anderen abzog. Er hatte die Probe
bestanden.
Da sich nun solche Szenen wiederholten, und zwar mit vertauschten Rollen, so liegt der Schluß doch wohl nahe, daß in der Rangordnungsphase weit mehr die psychische Widerstandskraft, die psychische
Überlegenheit eine Rolle spielt als die körperliche Kraft.
Wir wissen auch aus Beobachtungen an anderen sozial lebenden höheren Tieren, wie etwa Elefanten oder Pavianen, daß dort die Führung der Herde oder des Trupps nicht vom stärksten, sondern vom
erfahrensten, meist altem Tier gebildet wird. Das bedeutet, daß die Erziehung der Nachkommen auf Anerkennung dieser Form von Autorität ausgerichtet sein muß. Nicht anders ist das auch bei unseren
Hunden, und das äußert sich ebenso bei deren Festlegung der Rangordnung.
Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn wir in dieser Entwicklungsphase schon sehr schön beobachten können, daß der Vater- Rüde keineswegs wegen seiner körperlichen Überlegenheit respektiert
wird. Das taten die Welpen zweifelsohne früher, als ihnen sozusagen die nötige Einsicht fehlte und sie daher auch entsprechend »handgreiflich« diszipliniert werden mußten. Zwar fährt der Vater auch
jetzt ein oder das andere Mal ganz energisch dazwischen, wenn die Rangeleien der Junghunde über das Ziel hinausschießen und sie zu aggressiv werden. Sonst aber genügt von seiner Seite ein mahnender
Blick, um den Sprößling zur Ordnung zu rufen. Umgekehrt wird aber deutlich, wie sehr die Junghunde an dem Alten hängen. Es ist das keine Unterwürfigkeit, wenn sie immer wieder zu ihm hingehen, um ihm
rasch einmal die Schnauze zu lecken. Ich habe mich schon in meinem früheren Buch gegen den von Rudolf Schenkel gebrachten Ausdruck »aktive Unterwerfung« in diesem Zusammenhang ausgesprochen. Für mich
ist das eine Anhänglichkeitsbezeugung, ein Ausdruck der »Gefolgschaftstreue«, wie Konrad Lorenz sagen würde, kurz, eine freiwillig zum Ausdruck gebrachte Anerkennung der väterlichen Autorität im
Sinne von »Vater ist der Beste! «
Wem das zu vermenschlicht klingt, der schlage im Kapitel »Der Hund als Freund« nach. Tatsache ist, daß das Zusammenleben der Junghunde mit ihren Eltern überaus harmonisch verläuft. Es gibt in der
Hundefamilie kein »Generationenproblem«, und kein Junghund steigt gegen die Hundegesellschaft auf die Barrikaden. Das Vorhandensein einer anerkennenswerten Autorität gibt ihm die Sicherheit seiner
Existenz und damit die Möglichkeit zur freien Anpassung an die bewährte Sozialordnung.
Man muß dazu aber auch sagen, daß auf diesem Wege die Umweltoffenheit erhalten bleibt, die Fähigkeit, ein Leben lang weiterzulernen, sich veränderten Umweltbedingungen erfahrungsmäßig anzupassen. Das
ist der Grund, warum der Vaterrüde als Autorität bestehen kann, und das ist der Grund, warum der Sohn einmal selbst als Vater für seine Kinder Autorität sein wird. Wäre das in der Wolfsfamilie nicht
so, dann wären die hundeartigen Raubtiere ausgestorben, ehe der Mensch aus ihnen seinen treuesten Begleiter hätte gewinnen können.
Wollen auch wir uns in dieser Zeit »artgemäß« verhalten, dann brauchen wir nur nachzuahmen, was der Vaterrüde macht. Er baut jetzt alle Spiele mit den Welpen aus, insbesondere die Jagd- und
Beutespiele, und er »schult« sie dabei bald soweit ein, daß sie allmählich das Rüstzeug als brauchbare Jagdgehilfen durchgeübt beherrschen. Auch wir können jetzt schon mehr vom Junghund fordern, wenn
wir durch vorwiegend stimmliche Belohnung die von uns gewünschten Verhaltensweisen aus dem Spiel herausarbeiten. Wir sollten es uns dabei zur Regel machen, sogleich mit einem anderen Spiel
fortzusetzen, wenn der Hund das von uns Gewünschte richtig gemacht hat Würden wir in diesem Fall die Übung wiederholen, dann würden wir den Hund verunsichern, er müßte glauben, daß es noch nicht
richtig war.
Das gilt ganz besonders von den Unterordnungs- und Gehorsamsübungen, die wir jetzt täglich ein wenig schulen können, aber möglichst nicht länger als eine Viertelstunde lang. Kommandos wie »Sitz«,
»Platz«, »bei Fuß«, das läßt sich jetzt schon ganz gut beibringen, darf aber niemals langweilig für den Junghund werden und schon gar nicht solche Formen annehmen, daß er diese Übungen fürchtet. Ich
habe schon Hunde gesehen, die sich versteckten, wenn der Herr mit ihnen ausgehen wollte, weil bei diesen Spaziergängen dann stets solche Übungen zum lästigen Zwang wurden. Manche Menschen können es
nämlich nicht lassen, sich in der Öffentlichkeit mit ihren Hunden zu produzieren. Man sollte daran denken, daß ein Junghund draußen durch vielerlei abgelenkt werden kann - daher diese Dinge nur an
Orten üben, die ihm gut vertraut sind. Später, wenn er es einmal kann und sein Können ihm selbst Freude macht, wenn unsere Partnerschaft so gut gediehen ist, daß es dem Hund auch Freude macht,
unseren Wünschen zu folgen, dann ist das was anderes. Ich traue klugen Hunden soviel Beobachtungsgabe zu, daß sie erkennen, welchen gesteigerten Wert ihre Herrchen darauf legen, daß sie vor einem
Publikum besonders schön folgen. Was dann kommt, ist Charaktersache; es gibt nämlich Hunde, die gerade dann - nicht folgen. Aber vielleicht auch nur deswegen, weil sie die Erfahrung gemacht haben,
daß das Herrchen es nicht wagt, sie öffentlich zu bestrafen.
Jedenfalls erkennt der Welpe in diesem Lebensabschnitt keineswegs mehr allein die rohe Gewalt an, sondern sieht die Überlegenheit desjenigen, dem er sich
unterordnen soll, auf weit höherer Ebene. Er will die Autorität anerkennen können, denn sie allein gibt ihm die Gewähr, daß Können und Erfahrung des Rudelführers sein Überleben absichern. Das ist
nicht von Beginn dieses Lebensabschnittes da, sondern reift in dieser Zeit allmählich heran und wird gegen Ende des vierten Lebensmonates klar erkenntlich. Dabei wird auch das Spiel nun nicht allein
mehr zur selbstbezogenen Übung des Könnens,sondern unabhängig davon auch zu einer gruppenbindenden Verhaltensweise, sowohl unter den Welpen als auch mit den Eltern. Der erwachsene Hund spielt mit uns
ja auch nicht, um sein Können auszubauen, sondern als partnerschaftliche Übung. Die Freude liegt dabei nicht, wie im Welpenalter, an dem Entdecken des eigenen Könnens, an der Bewegung an sich,
sondern an dem »Miteinander«. So wird das Spiel zu einem Teil der Gruppenbindung, die wir im Kapitel »Der Hund als Freund< noch genauer betrachten werden.
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5. bis 6. Monat - Die Rudelordnungsphase
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So sind nun alle Voraussetzungen gegeben, um die soziale Partnerschaft mit den Eltern zu einer straffen Rudelorganisation auszubauen, in der die Junghunde bereits vollwertige
Jagdpartner werden. Bei den Wölfen fällt diese Zeit in die Herbstmonate, im Norden wird es schon Winter. Im Hauptverbreitungsgebiet der Schakale setzen die Regenfälle ein, die Herden der großen
Weidetiere wandern; ihnen folgen die großen Raubtiere, denen sich die Schakale anschließen. Auch bei den Dingos wird es um diese Zeit Winter. So ist ein sehr enger Zusammenhalt der nunmehr weitere
Streifzüge und Wanderungen unternehmenden Wildhundarten lebensnotwendig. Die Vorrangstellung der zu Rudelführern gewordenen Eltern muß eingespielt sein. Und bei den Jungen ist die Rangordnung
geklärt, die auch Grundlage für die Arbeitsteilung auf der gemeinsamen Jagd wird. Damit sind alle Voraussetzungen zur Sicherung der Rudelexistenz gegeben.
Die von Konrad Lorenz beobachtete Tatsache, daß stärker wolfsblütige Hunde - die »Einmannhunde« - in diesem Alter sich für immer an einen Herrn binden, ist in diesem Zusammenhang
besonders interessant. Es ist nämlich gut vorstellbar, daß eine solche Prägung auf den Leitwolf, die zu einer unverbrüchlichen Gefolgschaftstreue führt, mit zur Sicherung des Daseinskampfes gehört.
Gewöhnlich wandern, wie wir noch sehen werden, die Jungwölfe nach dem Winter ab und streifen auf eigene Faust umher. In manchen Gebieten mag es aber sinnvoll sein, wenn man in größeren Rudeln jagt.
Alttiere und Jungtiere eines Wurfes bringen bestenfalls eine Kopfstärke von acht zusammen. Wenn sich nun die Jungwölfe des Vorjahres wieder einfinden und zugesellen, so ergibt das eine größere
Kampfstärke, wozu kommt, daß die Vorjährigen entsprechend erfahrener sind. Bekannt ist auch, daß die Welpensterblichkeit bei den Wölfen recht groß ist, und es ist durchaus möglich, daß einmal ein
ganzer Wurf zugrunde geht. Die Altwölfe müßten dann zu zweit mit der winterlichen Jagd auf Großwild fertig werden, was sicher wenig Erfolg bringt. Kommen nun die Jungwölfe vom Vorjahr dazu, wird das
schon einfacher, und es ist auch auf Grund einzelner Daten aus Freilandbeobachtungen gut denkbar, daß selbst noch ältere Nachkommen des betreffenden Eltempaares sich erneut einfinden, vor allem dann,
wenn sie selber kinderlos geblieben sind. So mag diese Gefolgschaftstreue dazu beitragen, daß sich die Sippe in Notzeiten zusammenfindet, um durch bessere Jagderfolge, wie sie die Rudeljagd
gewährleistet, überleben zu können.
In der Rudelordnungsphase wird natürlich auf der gemeinsamen Jagd von jedem der Jungwölfe die Erfahrung gemacht, daß die Zusammenarbeit unter Führung eines erfahrenen Leittieres
den jagdlichen Erfolg sichert. Diese Erfahrung ist also ausgesprochen positiv getönt und wird dazu beitragen, daß auch künftig Gruppenbildung angestrebt wird. Hinzu kommt außerdem die Erfahrung, wie
der Einsatz jedes Gruppenmitgliedes zum Erfolg beiträgt, und wie sehr es auf die Fähigkeiten jedes einzelnen ankommt.
Kurz, es wird auf diesen gemeinsamen Jagden gelernt, wie befriedigend eine solche Zusammenarbeit ist. Und so wäre es nicht von der Hand zu weisen, daß gerade in diesem Alter auch
entsprechende Lernbefähigungen vorhanden sind. Ich selbst kann hierzu natürlich nichts aussagen, da ich meine Hunde nicht in den Wald schicken darf, um sie auf der Jagd zu beobachten, und es hätte
auch wahrscheinlich nicht viel Zweck, denn die Elternhunde haben selbst keine Rudeljagd - Erfahrung.
Immerhin habe ich aus meist sehr ungewollten Beobachtungen heraus zumindest eines feststellen können: Im Alter von 5 und 6 Monaten neigen die Junghunde sehr dazu, größere
Streifzüge zu unternehmen, und zwar stets gemeinsam. Ist zufällig auch ein älterer Hund zur Hand, so fühlt sich der offensichtlich verpflichtet, mit diesen Junghunden loszuziehen, auch dann, wenn er
sonst ein ganz braver Hund ist, der stets dicht beim Hause bleibt. Hier scheint doch ein angeborener Jagdtrieb zu erwachen, das Bedürfnis, in Gemeinschaft auszuziehen. Solche Streifzüge dauern meist
nur wenige Stunden, und häufig genug beschränken sich die Hunde damit, einige hundert Meter entfernt auf einer Wiese nach Mäusen zu graben. Aber man kann da auch beobachten, daß sie zwischendurch
einander jagen, also Jagdspiele aufführen, und das gibt zu denken. Da ich bedauerlicherweise diese Hunde, denen solche Streifzüge in einem unbewachten Augenblick gelingen, gewöhnlich nur mehr tot zu
Gesicht bekomme - die Grubmühle liegt im Grenzbereich von gleich drei Jagdrevieren! -, so kann ich nichts darüber aussagen, welchen Einfluß dieses gemeinsame Unternehmen auf die weitere Entwicklung
hat. Ich beneide da immer den Filmhund »Lassie«, der stundenlang durch Wald und Flur streifen darf, ohne sofort von Jägern erschossen zu werden. Es hat sich bei uns die Erkenntnis noch nicht so
durchgesetzt, daß Junghunde ohne jagderfahrenen Anführer keine Erfolgschancen haben, und sollten sie tatsächlich ein Stück Wild »erbeuten«, dann kann es sich nur um eines handeln, das längst hätte
ausgemerzt werden müssen; ein gesundes Reh erwischen sie niemals.
Jedenfalls dürfen wir annehmen, daß in dieser Zeit abermals wichtige, teils angeborene, teils erlernte Verhaltensmuster ausgeprägt werden, und wir sollten im Umgang mit unserem
eigenen Junghund die Zeit nicht ungenutzt lassen. Hierfür müssen wir uns zunächst zwei wichtige Fakten vor Augen halten: Erstens bleiben wir Elternkumpan, denn wir bringen dem Junghund weiterhin das
Futter und gehen nicht mit ihm auf die Jagd - sofern wir eben nicht einen Jagdhund ausbilden. Zweitens bleiben wir mit unserem Hund gewissermaßen in der Rudelordnungsphase stecken, denn er bleibt ja
zeitlebens mit uns zusammen, sogar dann, wenn er im Freileben, als Wolf, längst ein eigenes Rudel anführen würde. Wir verschieben also ab da die naturgegebenen Verhältnisse recht einschneidend.
Wir müssen daher die Zusammenarbeit, wie sie in der Rudelordnungsphase freilebender Hundeartiger erfahren wird, auf andere Möglichkeiten umleiten. Gemeinsame Jagd erfordert eine
gewisse Disziplin. Wir bieten diszipliniertes Spiel - neben dem völlig gelösten, das wir zuvor als gruppenbindend bezeichnet haben - und in ihm erste Vorstufen zu jener Ausbildung, die dem künftigen
Verwendungszweck dient. Aber auch dann, wenn wir keinen Diensthund oder Jagdhund ausbilden, ist es sehr anzuraten, dem Hund etwas beizubringen, und wenn es nur kleine, fröhliche Kunststückchen sind.
Unser Hund befindet sich entschieden noch in einem ausgeprägten Lernstadium, und wenn wir das nicht nützen, dann wird die psychische Struktur des Hundes verkümmern. Gerade jetzt braucht er uns ja als
Rudelführer, von dem er als gut vorbereiteter Schüler die Besonderheiten gemeinsamer Aktionen bis zur Vollkommenheit übt.
Mit solchen kleinen Aufgaben und Übungen, auch jenen, die zur Unterordnung gehören, kann der Mensch seine Stellung als Rudelführer festigen, wobei er mehr durch Selbstsicherheit
als durch Gewalt seine Stellung unterstreichen sollte. Der Junghund erwartet ein »Leitbild« des erfahrenen, psychisch überlegenen Anführers und ist keineswegs darauf eingestellt, einem Tyrannen zu
Diensten zu sein. Es ist also eine kritische Phase, die sehr leicht zu künftigen Erziehungsschwierigkeiten führen kann, wenn diese Vorrangstellung als umsichtiger und überlegener Meuteführer vom sehr
scharf beobachtenden Hund nicht anerkannt werden kann. Er ist jetzt sehr geneigt, die eigene Ranghöhe zu verbessern, wenn das Leitbild versagt. Das beginnt damit, daß er sich weniger um die Wünsche
seines Herrn kümmert, bereits gelernte Kommandos geflissentlich überhört, und so fordert er uns heraus. Wir werden dann gern bös und machen alles noch verkehrter - das steigert sich bis zu dem Tag,
an dem uns der inzwischen erwachsene Hund direkt droht, oder uns ganz raffiniert überrundet, indem er sich zu einem Haustyrannen entwickelt. Wenn der Herr als Rudelführer versagt, muß es der Hund
werden, denn eine Familie ohne Anführer oder Haushaltungsvorstand darf es - zumindest in den Augen des Hundes - nicht geben!
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